Von der LehrerIn zur LernbegleiterIn

Mentor/innen haben nicht die Aufgabe, Wissen zu vermitteln, sondern die Lernprozesse ihrer Mentees zu begleiten, ihren Entdeckergeist und ihre Kreativität in produktive Bahnen zu lenken:

„Als Mentor stellen wir unsere Strategie völlig auf die andere Person ein. Es geht nicht darum, auf den eigenen Erwartungen und Absichten herumzureiten. Wir müssen voll und ganz präsent sein für die Person, die wir in diesem Moment betreuen. Wir müssen Ausschau halten nach den Zeichen, dass sie etwas begriffen hat, und nach neuen Möglichkeiten, ihre nächsten Schritte zu lenken. Wir helfen ihr dabei, indem wir Fragen stellen, die ihre Unabhängigkeit nähren und sie zu mehr Selbstständigkeit führen. Mit der Zeit deckt das Mentoring die Gaben der Kreativität und Kraft auf, die in jedem einzelnen Menschen schlummern.“

(Jon Young, aus: Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung mit der Natur. Grundlagen der Wildnispädagogik, Buch 1 – Handbuch für Mentoren.)

Zwei Situationen aus dem Schulgarten zeigen die Herausforderung für die Lehrkraft beispielhaft: Es ist Sommer, und es gibt viel zu tun im Schulgarten:

Da sind zum einen die notwendigen Pflegearbeiten: Gießen, Jäten, Mulchen, evtl. Pflanzen hochbinden, Rasen / Wiese mähen etc. Bei Schüler/innen besonders beliebt ist das Gießen, denn Wasser ist und bleibt das Element mit dem größten Spaßfaktor im Garten. Gerade wenn es sehr warm ist, artet das Gießen auch mal in eine kleine Wasserschlacht aus, gerade wenn das Wasser mit einer Schwengelpumpe aus einer Zisterne hochgepumpt wird. Aus diesen Pumpen kommt immer ein sehr „chaotischer“ Wasserstrahl, der niemals brav in der kleinen Öffnung einer Gießkanne landet. Es ist eine Wonne anzuschauen, wie die Kinder, die im Klassenraum so eingeschränkt sind in ihrem Bewegungsdrang und ihrer Spontanität plötzlich förmlich explodieren vor Sinnesfreude und Körpererlebnis. Man gönnt ihnen das so sehr! Aber auch dieser Spaß hat natürlich seine Grenzen. Zunächst einmal erfordert eine solch ausgelassene Stimmung in einer Gruppe schon einiges pädagogisches Gespür, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Eskalation kommt, dass man rechtzeitig die Kurve bekommt, die Stimmung wieder „friedlich“ auf ein Arbeitsniveau zurückzulenken. Hilfreich ist es für solche Situationen, wenn man vorher mit den Kindern ein klares Stopp-Zeichen vereinbart und dieses auch einübt. Und dann stellt sich natürlich irgendwann auch die Frage nach dem Wert des Wassers. Ist es Verschwendung, mit Wasser zu spielen? Diskutieren Sie das doch mal mit Ihren Kindern!

Zum anderen ist der Sommer die Hoch-Zeit der Insektenwelt. Jetzt gibt es unzählige Tiere an Blüten und Blättern, im Wasser und an den Nisthilfen zu beobachten. Tiere sind im Schulgarten ohnehin das „Highlight“. Wenn irgendwo ein Tier auftaucht – und es tauchen meistens irgendwelche Tiere auf – liegt die Aufmerksamkeit bei diesem Tier. Das hat schon so manche Lehrkraft zur Verzweiflung gebracht: Da war man gerade mittendrin, zu erklären, wie man Radieschen sät, und dann krabbelt eine Spinne über den Boden. Keine Chance mehr für die Erklärung! Was passiert da? Etwas vollkommen Natürliches: Menschen sind biologische Wesen, die beim Aufenthalt in der Natur achtsam sind und ihre Aufmerksamkeit auf Dinge richten, die für sie von Bedeutung sind: potenziell Gefährliches oder Essbares! Sprache als virtuelles, kulturelles Phänomen tritt hinter ein reales Ereignis weit zurück. Ist die Spinne nun eine Ablenkung? Oder nicht vielmehr eine Chance der Hin-Lenkung auf ein Thema, auf dem im Moment die 100%ige Aufmerksamkeit liegt? Wann haben Sie eine solche Konzentration schon mal im Klassenzimmer? Nutzen Sie die Chance: Spinnen statt Radieschen! Lassen Sie sich von der Neugier der Kinder anstecken und erkunden Sie die Welt der Spinnen mit den Kindern zusammen. Ihr pädagogischer Auftrag besteht bei diesem „situativen Lernen“ darin, Fragen zu stellen, die über die Situation hinausgehen: Wo kam die Spinne her? Wo wollte sie hin? Kann jemand erkennen, wie viele Beine die Spinne hat? Vielleicht wird daraus ein Spinnen-Projekt?! Vielleicht wird es das für die eine Gruppe der Schüler/innen, die anderen interessieren sich ja vielleicht doch eher für Radieschen.

Unterricht im Schulgarten ist für ungeübte Lehrkräfte anfangs sicher anstrengend, weil man als Lehr-Subjekt Konkurrenz bekommt: alles, was da kreucht und fleucht, wächst und blüht, fiept und zwitschert – die Lehrmeisterin Natur! Viele langjährige Schulgarten-Lehrer/innen aber wollen diese Art des Lehrens & Lernens nicht mehr missen, weil sie am Verhalten und an der Entwicklung der Kinder merken, wie gut es ihnen tut.

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